Die Presse zu "Kindheitsgeschichten"

Vorankündigung in: Westdeutsche Zeitung, Ratingen - 6. Juni 2003

Erinnerungen aus der Kinderzeit

Literarische Rückblenden bei der "LebensArt"

Ratingen. Der Blick der Kinder auf ihre Zeit ist oft ein anderer als der, den wir aus den Geschichtsbüchern kennen. Am Freitag, 13. Juni, präsentiert die Ratinger Künstlerin Christel Lueb-Pietron im Rahmen der VHS-Reihe "LebensArt" im Medienzentrum literarische Kindheitserinnerung aus den Jahren 1930 bis 1960. Nicola Barth begleitet sie dabei auf dem Klavier.

Die kleinen Freuden, mehr noch das Leid der Kinder der vergangenen Jahrzehnte werden lebendig in den Geschichten, die Christel Lueb-Pietron zusammengestellt hat. Es sind literarische Erinnerungen von Ingeborg Bachmann über ihre österreiche Kindheit in den dreißiger Jahren. Die Autorin Margaret Klare hat die so genannte "Reichskristallnacht« mit Kinderaugen gesehen, Elke Oertgen-Twiehaus schreibt von ihrer Kindheit im Koblenz der Kriegszeit und Ulla Hahn hat das Rheinland der sechziger Jahre als Kind erlebt und literarisch eingefangen. Die Ungarin Sará Deszéry hat bei der Flucht vor dem Ungarnaufstand 1956 ihren Kinderstuhl verloren - den Stuhl, der ihr jahrelang Halt, Sicherheit und ein Zuhause gegeben hatte. Auf diese Erzählung bezieht sich der Unteritel der Veranstaltung, der Bezug nimmt auf das Kinderspiel: "Mein rechter, rechter Platz ist frei...". Die VHS-Veranstaltung findet am 13. Juni, um 19.30 Uhr im Medienzentrum, Peter-Brüning-Platz 3, statt und kostet sechs Euro an der Abendkasse.

Aus: Der Homberger 12/2003 - 01/2004:

Die kleinen Freuden, mehr aber noch das Leid der Kinder der vergangenen Jahrzehnte wurden lebendig, als Christel Lueb-Pietron im Evangelischen Gemeindezentrum Homberg-Süd am Sonntag, dem 16.11.2003, abends um 20.00 Uhr „Kindheitsgeschichten“ erzählte. Nikola Barth begleitete sie dabei am Flügel. Mehr als 60 Zuhörer waren der Einladung der gefolgt.

Ein eigenwilliges Bild bot sich den Zuhörern. Vorn standen vier Stühle nebeneinander. Sie stammten erkennbar aus verschiedenen Zeitepochen – aus den Jahrzehnten, welche die Geschichten in Erinnerung brachte: aus den dreißiger, den vierziger und den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Verschnürte Päckchen lagen auf den Stühlen, Puppen saßen darunter, ein Kinderball lag daneben.

Dann kam Christel Lueb-Pietron herein: In der Hand hielt sie einen fünften Stuhl, einen blauen, abgeschabten Kinderstuhl. Und begann zu erzählen – nicht als Erwachsene, sondern sie sprach die literarischen Texte jeweils als das Kind, das seinen eigenen Blick hatte für die Menschen und Ereignisse seiner Zeit, oftmals grundverschieden vom Blick der Erwachsenen.

Zuerst kam Sará Deszérey zu Wort: ein ungarisches Mädchen, das bei der Flucht im Umfeld des Ungarnaufstands 1956 seinen Kinderstuhl verlor – den Stuhl, der ihm jahrelang Halt, Sicherheit und Zuhause gegeben hatte. Ein ungarisches Kinderlied (von Homberger Mädchen auf Band gesungen) ließ die Erinnerungen nachklingen.

Ein Walzer leitete über zu einer Kindheitsgeschichte aus dem Österreich der dreißiger Jahre (Ingeborg Bachmann), gefolgt Erinnerungen an die sog. Reichskristallnacht (Margaret Klare): ein Mädchen, das hatte sich mit Safi, einem Zigeunermädchen, angefreundet. Durch eine Hecke hindurch hatten sie sich Töne zugeflötet (Nikola Barth und Christel Lueb-Pietron spielten die Flöten). Unfassbar war es für das Mädchen, dass nach der Pogromnacht keine Safi mehr antwortete. Die Töne gingen ins Leere – und die Stille den Zuhörern durch Mark und Bein.

Nach der Pause ging es weiter mit Elke Oertgen-Twiehaus (Koblenz in den letzten Kriegsjahren) und mit Ulla Hahn und damit ins katholische Rheinland. Fritz, die Negerpuppe sollte weiß werden. Aber weder der Rosenkranz noch die Taufe noch die Arme des Jesuskindes in der Krippe halfen. Tröstlich war, dass der Pastor das Mädchen verstand.

Auf dem kleinen Kinderstuhl hatte Christel Lueb-Pietron ihre Erzählreihe begonnen, dann war sie von Erzählung zu Erzählung einen Stuhl weitergerückt: „Mein rechter, rechter Platz ist frei...“ Jetzt am Ende bat sie einzelne Zuschauen aufzustehen und ihr ihren Stuhl zur Verfügung zu stellen – um die Reihe der Stühle, der Erzählungen, der Erinnerungen weiterzuführen – bis in die Gegenwart hinein.

Am Ende des Abends stand ein Wort von Erich Kästner: „Es ist nämlich gleichgültig, ob man wegen einer zerbrochenen Puppe weint, oder weil man, später einmal, einen Freund verliert. Es kommt im Leben nie darauf an, worüber man traurig ist, sondern nur darauf, wie sehr man trauert. Kindertränen sind, bei Gott, nicht kleiner und wiegen oft genug schwerer als die Tränen der Großen.“

Diese Sätze hätten aber auch als Überschrift am Anfang stehen können. Kinder – das wurde immer wieder deutlich – sind nicht Erwachsene im Kleinformat, sondern haben ihre eigene Art des Erlebens, des Erinnerns und wahrhaftig genügend Grund, Tränen zu vergießen. Das spürten die Zuhörer, die bisweilen selber den Tränen nahe schienen, aber auch Grund zum fröhlichen Lachen fanden.

Großen Beifall schenkten die Zuhörer den beiden Künstlerinnen – Christel Lueb-Pietron für ihr Erzählen, ihre einfache und zugleich prägnante Art der Inszenierung, Nikola Barth für ihre einfühlsame Art der musikalischen Unterstützung.

aus: NRZ Isselburg 13.10.2004 (Auszug)

Geschichten mit Sensibilität vorgetragen

Engagiert und ausdrucksvoll bei der Sache: Christel Lueb-Pietron am Dienstagabend bei ihrem Auftritt im Katholischen Pfarrzentrum in Isselburg. (Foto: Klaus Janssen)

Sprecherin Christel Lueb-Pietron zog in einer Kolpingsenioren-Veranstaltung rund 70 Zuhörer in den Bann.

ISSELBURG. "Mein rechter, rechter Platz ist frei." Ein Kinderspiel. Und das Thema das Programms, mit dem Christel Lueb-Pietron aus Ratingen auf Einladung der Senioren der Kolpingsfamilie in ihrer Geburtsstadt Isselburg gastierte. Sie sprach Kindheitsgeschichten beispielsweise Sára Deszéry und Ingeborg Bachmann. Sára Schroers spielte Klavier. Von ihr stammte eine Erinnerung, denn ihr Kindheitsname war Dészerey.

Mädchen verliert seine Stütze

Es waren Kindheitsgeschichten, die unbeschwerte erste Lebensjahre, aber auch dunkle Ereignisse schilderten, die in dem jungen Menschen etwas zerstörten, ihm etwas wegnahmen. Da ist der Stuhl, der 1956 bei der Flucht aus Ungarn in einem Bach landet und durch den ein kleines Mädchen seine Stütze verliert. Da ist das Kind, das mit einem Zigeunerkind heimlich eine Art Freundschaft zu schließen beginnt, die aber jäh endet, als in der Nacht die Synagoge brennt und die Zigeuner am anderen Morgen verschwunden sind. Da ist das Kind, das seine schwarze Puppe weiß haben möchte und es deshalb zum Jesuskind in die Krippe liegt, bis der Pfarrer dem jungen Menschen verdeutlicht, dass Gott die Menschen verschieden erschaffen hat.

Es sind Geschichten, die nachdenklich und betroffen machten. Und von Christel Lueb-Pietron mit einer Sprechkunst und Sensibilität vorgetragen, die wohl jeden der rund 70 Zuhörer in den Bann zog. Es war im großen Saal des katholischen Pfarrzentrums teilweise so mucksmäuschenstill, dass man eine Gänsefeder hätte fallen hören. Und als am Klavier recht laut das Lied von der "schwarzbraunen Haselnuss" erklang, wippte niemand im Takt mit, illustrierte diese Weise doch den Aufmarsch der braunen Nazi-Horden.

Christel Lueb-Pietron und Sára Schroers sorgten mit ihrem rund zweistündigen Programm für einen Abend, den wohl kaum einer aus dem Publikum so schnell vergessen wird.

Aus: Bocholter-Borkener Volksblatt 13.10.2004, Ressort Isselburg

Eine Lesung, die zugleich Theateraufführung war

Isselburg „Mein rechter, rechter Stuhl ist frei” hieß die Lesung, die Christel Lueb-Pietron aus Ratingen am Dienstagabend im Pfarrzentrum St. Bartholomäus hielt, und die eigentlich doch eine kleine Theateraufführung war. Nicht nur, dass die gebürtige Isselburgerin ohne Vorlage sprach und sich einer klaren, schnörkellosen Sprache bediente - sie schlüpfte in die Rollen, um die es in den literarischen Texten ging. Eine flackernde Eindringlichkeit hatten die Geschichten, die fast immer von Kriegswirren und nationalsozialistischen Umtrieben überschattet waren und aus der Retrospektive mit Kinderaugen berichteten.

Lueb-Pietron, neutral in schwarz gekleidet, ließ ihre Szenen wieder aufleben. So verwandelten sich die sechs Stühle, die auf der Bühne standen, zu lebhaften Spiel- und Schauplätzen. Da wird der Lieblingsstuhl eines kleinen Mädchens plötzlich zum Inbegriff einer brüchigen Kindheit wie bei der Erzählung „Mein Kinderstuhl” von S·ra Deszéry. Ein Kindheitstraum zerbricht, als sie mit ihrer Familie den unsicheren politischen Verhältnissen in Ungarn den Rücken kehrt und 1956 nach Österreich flieht.

Bitter klingende Reime

Das Schweigen, das Gebot, still zu sein, sind wiederum Hauptmotive in Ingeborg Bachmanns „Jugend in einer österreichischen Stadt”. In Momentaufnahmen, die die Darstellerin wie in einem Fotoalbum aufschlägt, beschreibt die bekannte Lyrikerin Bachmann ihre beklemmende Jugendzeit im nationalsozialistisch besetzten Klagenfurt.

Eine Flöte, aber auch die Gerüche zerstörter Synagogen und ausgebrannter Zigeunerwagen ziehen sich wie ein roter Faden durch Margret Klares „Ich habe keine Angst”, während in dem Gedicht „über leben” die kindliche Hoffnung auf eine Rückkehr in die Heimat jäh an der Realität zerbricht. Bitter klingen hier die Reime von Hanne F. Juritz: „Ich war Kind, da schaufelte man uns frei, von zwanzig blieben noch drei”.

Nicht minder poetisch ist Elke Oertgen-Twiehaus' „Kindheitsstück Mosel”. Mit vielschichtigen Wendungen („Ich beschäftige Schutzengel” - „Die Welt bekommt Risse”) zeichnet die Dichterin das Bild einer vom Krieg betrogenen Kindheit. Längen hatte dagegen der Auszug aus „Das verborgene Wort” von Ulla Hahn, denn mit zunehmender Dauer verflachte der Vortrag. Trotzdem kamen die atmosphärische Dichte und die humoristischen Elemente in Hahns Erzählung gut zum Ausdruck.

Insgesamt ein eindrucksvoller Auftritt der „Isselburger Heimkehrerin” Lueb-Pietron. Der Erlös der Lesung, die dezent von S·ra Schroers am Klavier begleitet wurde, soll der Aktion „Menschen für Menschen” von Karlheinz Böhm zugute kommen.

michael stukowski