Die Presse über "Der Traum hat offene Augen"

Westfälische Nachrichten Münster, 07.12.1999

Lebensstationen -

Rose-Ausländer-Abend im Rüschhaus

Münster-Nienberge. Leben in Czernowitz in der Ukraine, in New York, Überleben im Ghetto von Czernowitz, Leben in Spanien, Italien, Venedig, Düsseldorf: Das sind die verschiedenen Lebensstationen der jüdischen Dichterin Rose Ausländer. Ein poetisch-musikalisches Lebensbild der Autorin entwarfen am Sonntag Christel Lueb-Pietron und Wolfgang Heinemann am Klavier im Haus Rüschhaus.

Leben und Werk Rose Ausländers sind eng miteinander verbunden. Die Sprache ist nach den Erlebnissen des Ghettos in Czernowitz ihr neues Mutterland. Sprachlich und mit einer eindrucksvollen Interpretation gelang es Christel Lueb-Pietron meisterlich, den wechselhaften Lebensweg der Dichterin nachzuzeichnen. Wolfgang Heinemanns Melodie-Skizzen am Klavier setzten treffende Pointen in der nachdenklich und betroffen machenden Lesung.

Rheinische Post Ratingen, 05.03.2001:

In der Christuskirche Homberg / Lyrikerin

Rose Ausländer - ein jüdisches Leben

HOMBERG. "Was erwarten Sie noch vom Leben?", wurde Rose Ausländer in einem Interview gefragt, als sie fünfundachtzig war. Nichts", antwortete sie", aber ich lebe gern". Eine nachhaltige Einführung in das Leben und Werk der jüdischen Dichterin konnten die etwa 60 Besucher der evangelischen Christuskirche in Homberg am Freitagabend erleben. Christel Lueb-Pietron zeichnete das Leben der vor 100 Jahren geborenen Lyrikerin nach, Wolfgang Heinemann (Klavier) ließ in seiner Musik Leben und Dichterwort nachklingen.

Es war ein Leben, in dem sich wie in einem Brennglas die jüngere Geschichte des europäischen Judentums widerspiegelt. Rose Ausländer wuchs in Czernowitz auf - damals Österreich-Ungarn, heute Ukraine. Man sprach russisch, ruthenisch, jiddisch, rumänisch, polnisch und deutsch; Geschichte und Gedankengut der Welt kreuzten sich hier. Aber Rose musste bald ihre Heimat verlassen - erst aus familiären Gründen, später der Nationalsozialisten, noch später der Russen wegen. New York, Bukarest, Berlin, wieder New York, Italien und Wien waren die weiteren Stationen ihres Lebens, immer wieder unterbrochen von Zeiten, in denen sie in ihrer Heimat leben konnte: in Czernowitz, in der Bukowina, bei ihrer Mutter, aber auch im Ghetto. Ihr letztes Lebensjahrzehnt verbrachte sie in Düsseldorf, erst in einer Pension, später im Nelly-Sachs-Heim. Sie starb 1988. Auf dem Nordfriedhof in Düsseldorf ist ihr Grab.

Mit sparsamer Requisite

Christel Lueb-Pietron verwob die Erzählung dieser Lebensdaten mit dem Werk von Rose Ausländer. Etwa 30 Gedichte trug sie vor - mit sparsamer aber eindrucksvoller Requisite. Es waren Gedichte aus der Vorkriegszeit, Texte aus der Zeit, in der die Brutalität des Leidens jeden Reim kaputt schlug, aus der Phase, in der sie nicht mehr deutsch, sondern nur noch englisch reden mochte, und aus den älteren Jahren, als Rose wieder deutsch schrieb. "Und Wiesen gibt es noch - und Bäume - und Sonnenuntergänge - und Meer und Sterne - und das Wort - das Lied - und Menschen -und ... "

Die Zuhörer, ergriffen und gerührt, dankten es Christel Lueb-Pietron und Wolfgang Heinemann mit langem Beifall.

NRZ Dinslaken, 27.11.2001

Rose Auslander gewürdigt

PAX CHRISTI - Theologin Christel Lueb-Pietron erzählte in der evangelischen Stadtkirche ausdrucksstark aus dem bewegten Leben der jüdischen Dichterin.

DINSLAKEN. Hundert Jahre alt wäre die Dichterin Rose Ausländer in diesem Jahr geworden. Anlass genug für die Pax Christi Gruppe, zusammen mit der ev. Stadtgemeinde und der Stadtbibliothek einen Spätnachmittag dieser Frau zu widmen.

Mit viel Liebe und Engagement las die Theologin Christel Lueb-Pietron, Ratingen, aus den Gedichten, erzählte ausdrucksstark aus dem bewegten Leben der Dichterin. Immer wieder unterbrochen von mal romantischen, mal dramatischen Klängen des Pianisten Wolfgang Heinemann. Während ihrer Studienzeit hätte sie Rose Ausländer für sich entdeckt, sie aber trotz der räumlichen Nähe nie kennengelernt, so Christel LuebPietron. Die Lyriken der Jüdin stecken ihr im Blut, aus jedem Wort, aus jeder Geste ist dies zu spüren. Gebannt lauschten die rund 60 Gäste in der evangelischen Stadtkirche ihren Ausführungen.

Der Traum lebt mein Leben zu Ende

"Gib auf! Der Traum lebt mein Leben zu Ende." So lautet das letzte Gedicht der jüdischen Schriftstellerin. Am 3. Januar 1988 verstarb sie 81jährig in Düsseldorf. Wer war diese Frau, die Jüdin, Lyrikerin, Heimatlose? Geboren 1901 in Czernowitz, damals Österreich, heute Ukraine, einer multikulturellen Stadt die über den Wolken schwebte.

Sie kommt früh mit mit der Kunst in Berührung, der Literatur. Schreiben wird für sie eines Tages zum Leben, zum Überleben, wie sie es selbst in ihren Gedichten ausdrückt. Ihre Gedichte sind Gedichte der wenigen Worte, kaum Ausschmückungen, aufs Äußerste beschränkt. Die Paradoxie gehört zu ihren bevorzugten Ausdrucksmitteln: "Der Tod macht mich unsterblich".

Schon 1920 zieht Rose Deutschländer mit ihrem Studienfreund Ignaz Ausländer in die USA, heiratet ihn dort, schreibt über New York und hat Sehnsucht nach der Heimat. Sie pendelt zwischen den Welten, lässt sich scheiden, kommt 1939 wegen der schweren Erkrankung ihrer Mutter nach Czernowitz zurück. Zwangsarbeit im Ghetto. Sie überleben. Wieder Amerika und zurück, Wien, dann Düsseldorf. Hier in Deutschland wird sie mit Literaturpreisen überschüttet. Doch Rose Ausländer bleibt ruhelos, heimatlos. (A.B.)

Rheinische Post Dinslaken, 27.11.2001

Wunsch nach Frieden

Von SINA ZEHRFELD

DINSLAKEN. Schlicht in Schwarz gekleidet, begann Christel LuebPietron mit lauter, klarer Stimme zu sprechen. Sie erzählte von Rose Ausländer. Die jüdische Dichterin wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. 1901 in Czernowitz geboren, starb sie 1988 in Düsseldorf. "Dazwischen lag ein Leben", trug Christel Lueb-Pietron vor, "in dem sie immer wieder neu angefangen hat."

Lueb-Pietron, Seelsorgerin aus Düsseldorf, schlug einen "schicksalsschwangeren" Ton an. Sie schuf emotionale Nähe, indem sie die Dichterin stets nur "Rose" nannte. Am Klavier ließ Wolfgang Heinemann zwischen die Gedichte und Erzählungen von Ausländers Leben melancholische Klänge tropfen.

Sie malte ein Bild von einem Leben, das nie zur Ruhe kommen konnte. Emigration nach Amerika und zurück, nach Bukarest, wieder nach Amerika, nach Wien. Vom Antisemitismus dort wieder vertrieben, kam die Dichterin 1962 nach Düsseldorf. "Rose liebt die Stadt nicht", fasste Lueb-Pietron Rose Ausländers Zeit in New York zusammen, "sie hat Heimweh." Und zitiert die Verachtung der Künstlerin mit den Zeilen von "New York": "Die Stadt reckt ihre fürstliche Gestalt / und lächelt lichtbesessen, schön und kalt."

Abgesehen von ihrer betont nachdenklichen Stimme setzte sie nur spärliche Mittel ein, um Atmosphäre zu schaffen. Mit den Worten "Es herrscht Krieg", ließ sie den Stuhl aufs Parkett knallen, oder hockte sich in Kauerstellung darauf, um Ausländers Einsamkeit zu verdeutlichen.

Ein charakteristischer Entschluss

Christel Lueb-Pietron vermittelte ihre persönliche Sicht von Rose Ausländers Gedichten und ihrem Seelenleben. "Das, was sie erlebt hat, hat die gute alte Form, den Reim, auseinanderbrechen lassen", formulierte sie, und trug Ausländers spätere Prosastücke vor. Dass die Dichterin die letzten zehn Jahre ihres Lebens bettlägerig war, nannte sie "einen für sie charakteristischen Entschluss." Sie erzählte, wie Rose Ausländer heiratete, sich trennte, sich wieder verliebte, wieder trennte, und beschrieb sie als geprägt von dem einen, großen Wunsch nach Frieden und Heimat.

Was auch immer Rose Ausländer wirklich fühlte: In der Stadtkirche waren jedenfalls die Gefühle der Zuhörer für 90 Minuten eingekapselt rund um die Gedichte, Zitate und das Leben der Dichterin.

Die Glocke – Lokales Rietberg - Freitag, 7. November 2003

Aus dem Lebenswerk der jüdischen Dichterin Rose Ausländer

Dunkle Zeit: „Sie schossen Sterne und den Mond ab"

Rietberg (gl). Der Schwerpunkt der Ausstellungseröffnung „Schwimmen gegen den Strom" ist dem Lebenswerk der jüdischen Dichterin Rose Ausländer gewidmet. In der wieder einmal liebevoll hergerichteten und vollbesetzten Evangelischen Kirche bot die Düsseldorfer Rezitatorin Christel Lueb-Pietron eine beeindruckende Darstellung des Lebenswegs der Lyrikerin.

Ein umgestürzter Stuhl symbolisiert den Kriegsbeginn: Christel Lueb-Pietron rezitierte 90 Minuten lang aus dem Lebenswerk von Rose Ausländer vor einem aufgeschlossenen Publikum.

Bild: Petersen

Ihr Vortrag wurde einfühlsam ergänzt durch den Pianisten Wolfgang Heinemann. Genauso hin- und hergerissen wie die wechselvolle Geschichte ihrer Vaterstadt Czernowitz in der Bukowina verlief das Leben der jüdischen Dichterin.

Geboren 1901 führte ihr Weg auf der Flucht vor den Nazis quer durch Europa bis New York, und nach dem Krieg genauso unstet wie ihr ganzes Leben schließlich über Wien nach Düsseldorf, wo sie 1988 starb.

Die lyrischen Ausdrucksmittel Rose Ausländers wandelten sich durch die bedrückenden Erfahrungen des Ghettos: Der Ordnung und Harmonie suggerierende Reim war seitdem für sie unbrauchbar. Paul Celans Bild der Kelter, die den jüdischen Dichtern den Wein ihrer Augen auspresst, ist auch für das Lebensgefühl Rose Ausländers gültig. Ihr Verständnis des Schreibens als einzig verbliebener Überlebensstrategie belegt die enge Verknüpfung zwischen Existenzangst und ihrem Werk in der dunkelsten Zeit ihres Lebens:

„Sie kamen / mit scharfen Fahnen und Pistolen / schossen alle Sterne und den Mond ab / damit kein Licht uns bliebe / damit kein Licht uns liebe / Da begruben wir die Sonne / Es war eine unendliche Sonnenfinsternis."

Ihre Muttersprache war für sie zur Mördersprache geworden. Dennoch schreibt sie ab 1956 wieder deutsch: „Die Worte kamen zu mir, sie wollten geschrieben sein." Nachdem sie durch den Krieg ihr Vaterland, die Bukowina, verloren hatte, erklärt sie nun die Sprache zu ihrem „Mutterland".

Die Angst vor dem Zerbrochenwerden durch inhumane Gewalt und Brutalität zwingt sie, nun auch in ihren Gedichten die sprachlichen Strukturen zu zerbrechen, beispielsweise in Satzbau und Semantik, und die Fragmente als dunkle Chiffren neu zusammenzufügen: „Der Puls fliegt / ins Schwarz / schwer die Schwinge / im Hals." Beeindruckend war der pietätvolle Respekt, mit der die beiden Künstler sich selbst hinter das Lebenswerk der Dichterin zurücknahmen.

Christel Lueb-Pietron ergänzte das gesprochene Wort durch szenische Andeutungen mit Hilfe sparsam eingesetzter Requisiten: eine schwarze Jacke deutete die lebenslangen Reisen der Dichterin an, deren Name - Ausländer - dadurch eine verblüffende Plausibilität bekommt.

Ein umgestoßener Stuhl symbolisierte den Kriegsbeginn. Auch das Buch in der Hand der Rezitatorin war nur ein Requisit, denn sie trug ihr etwa 90minütiges Programm auswendig vor. So hielt sie permanenten Blickkontakt mit dem Publikum, das sie fast hypnotisch in ihren Bann zog. Wolfgang Heinemann schuf musikalisch ausgefüllte Denkpausen durch angenehm zurückhaltend vorgetragene Intermezzi: Eine D-Moll-Fantasie von Mozart, einen Chopin-Walzer, eine Passacaglia von Händel und eigene Improvisationen. Es war eine würdige, künstlerisch überzeugende und sehr nachdenklich stimmende Veranstaltung, deren aktuelle Bedeutung eindrucksvoll bewiesen wurde.

Ulrich Petersen

Neue Westfälische – Lokalausgabe Kreis Gütersloh / Rietberg – Mittwoch, 5.11 2003

Der Traum hat offene Augen

Leben und Werk der jüdischen Dichterin Rose Ausländer

Rietberg (rb). Czernowitz, New York, Czernowitz, New York, Wien, Düsseldorf. So lauten, verkürzt, die Lebensstationen der Dichterin Rose Ausländer (1901-1988). Sie markieren auch Abschnitte einer gefährdeten jüdischen Existenz. Unter dem Titel „Der Traum hat offene Augen" skizzierte Christel Lueb-Pietron, am Klavier begleitet von Wolfgang Heinemann, in der Evangelischen Kirche Rietberg ein Lebensbild Rose Ausländers.

Czernowitz in der Bukowina in der heutigen Ukraine war mit seinen 160.000 Einwohnern durch etliche Sprachen und Kulturen geprägt. Bis 1918 zum Habsburger Reich gehörend, danach Rumänien zugeschlagen, wurde dort jiddisch und deutsch, rumänisch, ruthenisch und ungarisch, polnisch und russisch gesprochen. Die Bevölkerung war zu einem Drittel jüdisch, es gab überdurchschnittlich viele gebildete Leute und Künstler.

Als „eine Stadt ein bisschen über den Wolken" beschrieb Christel Lueb-Pietron den Ort, in dem deutsche und jüdische Kultur einander befruchteten, „abendländischer Lebensstil" gepflegt wurde. In diese offenbar poetisch stimulierende Atmosphäre hinein wurde Rose Ausländer geboren, wie später auch ihr großer Dichter-Kollege Paul Celan (1920-1970). Wie dieser von Alfred Margul-Sperber gefördet, veröffentlichte sie 1939 ihren ersten Gedichtband „Der Regenbogen". Da lag schon der Schatten des Dritten Reichs über Europa.

Christel Lueb-Pietron, wie ihr musikalischer Begleiter am Evangelischen Krankenhaus in Düsseldorf tätig, flocht immer wieder Gedichte ein in ihren Bericht über den Lebensweg der Autorin, die mit ihrer Mutter im Getto von Czernowitz die Verfolgungen durch die Nazis nur knapp überlebt hatte, 1965 nach Deutschland übersiedelte und 1988 im Nelly-Sachs-Haus, einem jüdischen Altenheim in Düsseldorf starb. Dort hatte sie, die ihre Heimat schließlich in der Sprache fand, bis zuletzt „wie eine Besessene" geschrieben.

„Die Vergangenheit / hat mich gedichtet / ich habe / die Zukunft geerbt / / Mein Atem heißt / jetzt", endet „Mein Atem". Dezent musikalisch ergänzt durch Wolfgang Heinemann, verstand es Christel Lueb-Pietron, die ungereimten, satzzeichenlosen Verse Rose Ausländers sehr angemessen, auf die Präsenz der Wörter vertrauend, zu rezitieren.

Zugleich wurde die bis zum 11. November (täglich, 15 bis 17 Uhr) dauernde Ausstellung „Gegen den Strom" mit Exponaten aus der Friedensbibliothek der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg eröffnet.

Foto: Birkholz