Die Presse über "Trottoircafés bei Nacht"

Rheinische Post, Ratingen - 8. Mai 2000

Kästner-Lesung im Lesecafé war gut besucht

Kleine Dramen voll Herbheit und Herz

RATINGEN. Es passte so gut zusammen, Erich Kästners "Trottoircafés bei Nacht" und das Lesecafé des Medienzentrums, und da offensichtlich viele Menschen den Dichter außerhalb der hinreißenden Jugendbücher bisher verpasst haben, war der Saal auch proppevoll. Christel Lueb und Pianist Wolfgang Heinemann trugen nach ihrem erfolgreichen Rose- Ausländer-Abend des vergangenen Jahres das übrige zur Anziehungskraft hinzu. Es wurde ein schöner, packender Abend.

Ein Hauch von Vornehmheit lag über dem Ambiente und der Ausstrahlung der Ratinger Rezitatorin, die frei und klar, mit einem bemerkenswerten Pausengefühl, einer gewissen Herbheit und dennoch viel Herz Gedichte vortrug, die sehr verschiedene Speicherplätze in Hirn und Seele ansteuerten. Immer wieder kam die runde Erde vor, aber auch "Frau Pichlers Ankunft im Himmel", Kästners letzter Beitrag für die schon nicht mehr erschienene "Weltbühne", bevor seine Werke im Mai 1933 außer "Emil und die Detektive" verbrannt wurden. Kein Wunder, dass diesen Mann eine erneute Bücherverbrennung durch fanatische junge Pietisten 1965 am Rheinufer in Düsseldorf wieder schocken musste. Erich Kästner lässt in seinen Texten, in denen die kleinen Dramen vorherrschen, aber auch über Formulierungen schmunzeln, wie "Normale Kinder wiegen neu acht Pfund" oder "Die Sehnsucht ist ein wildes Tier und beißt mich nachts ins Herz".

Das meiste, was Christel Lueb vortrug, ging jedoch an die Nieren, vom gereimten Lebenslauf des 30jährigen bis zur Frau, die nur die Mächtigen liebt und deshalb selbst beim Tod noch richtig liegt. Kein Wunder, dass Wolfgang Heinemann in seinen gelungenen Improvisationen sehr schnell wechselte und selbst Romanzen mit einem abgerissenen Akkord beendete. Christel Luebs Abschiedsgruß hieß "Denkt an das 5. Gebot: Schlagt Eure Zeit nicht tot!" Dann gab es von der Volkshochschule einen riesigen Rosenstrauß und Applaus genug für die Zugabe vom Pechvogel. Man müsste mehr Kästner lesen.

G.S.

Westfälische Nachrichten - 23.04.2002

Bedrückende Gedanken von großer Aktualität

Musikschule Nienberge lud zum Erich-Kästner-Abend ein

Münster-Nienberge. "Trottoircafés bei Nacht" - genau so wie ein Gedicht von Erich Kästner lautete der Titel eines moralisch-musikalischen Abends rund um den Schriftsteller, zu dem die Musikschule Nienberge ins Haus Rüschhaus einlud. Christel Lueb-Pietron wurde dabei am Klavier von Wolfgang Heinemann begleitet.

Ganz nach dem Motto "Trottoircafés bei Nacht" betrat Christel Lueb-Pietron mit den Worten "Ich habe eine Verabredung mit Erich Kästner, wir wollen uns hier treffen" ein imaginäres Straßencafé und setzte sich an einen kleinen Bistrotisch. Dort erzählte sie, was sie an dem Dichter fasziniert: "Er ist klug und intelligent, seine Sprache ist geistreich und witzig. Und er denkt nach - etwas , das heute nicht selbstverständlich ist".

Kennen die meisten nur Erich Kästners unbeschwerte Kinderbücher, so hat er auch eine ganz andere Seite. Und die ist mal bissig und messerscharf, mal melancholisch und sehr traurig, berichtet Christel Lueb-Pietron. So spiegeln die vorgetragenen Stücke zum einen auf zynische Art das Zeitgeschehen wider. Da ist von Politik und Macht, von Intoleranz und sozialen Nöten die Rede. Zum anderen werden bedrückende Einzelschicksale vorgestellt.

Das Bemerkenswerte an Kästner sei, dass die meisten seiner Gedichte schon vor über 60 Jahren verfasst und trotzdem heute noch aktuell seien, erzählte Christel Lueb-Pietron. Da staunte der Zuhörer nicht schlecht, dass Kästner in den 20er Jahren neben Abtreibung Steuersenkungen auch von der Idee eines "synthetischen Menschen" mit Charakterschaften nach Bestellung schreibt. "Gerade diese Aktualität ist für mich oft erschreckend", gab die Seelsorgerin des Evangelischen Krankenhauses Düsseldorf zu.

Auch die Zuschauer wirkten ernst und nachdenklich. Denn die Frau in dem kleinen Straßencafé vermittelte eindrucksvoll Stimmung und Aussage von Kästners Gedichten. Erst als sie sich die Lippen nachzog, eine rote Feder-Boa umlegte und am Klavier die "Ansprache einer Bardame" hielt, wurde die Stimmung gelöster. Doch trotz allem tauchte der erwartete Dichter nicht im Café auf, und Christel Lueb-Pietron stellte fest: "Es ist spät geworden, ich muss gehen. Wenn Herr Kästner noch kommt, grüßen Sie ihn von mir."

Gemeindebrief Evgl. Gemeinde Unterbarmen-Süd, Dezember 2002

Trottoircafés bei Nacht,

dieser Einladung zu einem Literaturabend über Erich Kästner in der Lichtenplatzer Kapelle war ein erfreulich zahlreiches Publikum gefolgt.

Zwei Seelsorger (im Hauptberuf) aus Düsseldorf fesselten die Zuhörer durch ihren packenden Vortrag. Sozialkritik und heitere Situationen in Gedichten aus den Jahren 1927 bis 1933 überraschten durch ihre Aktualität:

Der Medizinprofessor, der den synthetischen Menschen in 219 Variationen herstellt mit der Garantie, dass er sich nicht verändert. Wie bequem für Eltern, es entfallen alle Mühen und Sorgen der Erziehungsjahre, der erwachsene "Nachwuchs" ist perfekt.

Frau Lueb-Pietron überzeugte sowohl als Bardame, die den einzigen Ausweg aus ihrer Misere im Alkohol sieht, als auch als blutjunges Flittchen. Erschreckend die Professionalität im Krankenhaus, wobei der Mensch als Patient auf der Strecke blieb (könnte gestern geschrieben worden sein).

Kästner hielt sich gern in Cafés auf, um die Menschen dort zu beobachten und über sie zu schreiben. Und so schlagen die Interpreten aus einer zum Café umgestalteten Ecke der Kapelle die Brücke zum Autor.

Die anrührenden Wortvorträge wurden stets passend ergänzt durch Wolfgang Heinemann, der am Klavier, je nach Inhalt der Rezitationen, durch Schlager der 30er Jahre, Trauermusiken, Schubert-Melodien oder Choräle die Verbindung herstellte.

Eine späte Erkenntnis Kästners: "Der Mensch lehnt es ab, sich zum Engel umwandeln zu lassen, also hör ich mit meinen Bemühungen bei mir selbst auf."

Begeisterter Beifall dankte den Vortragenden für diesen beeindruckenden heiter-besinnlichen Abend.

Beate Wagener - Heer

Die Rheinpfalz, 11.11.2003

DIE ZEIT FÄHRT AUTO, KEINER KANN LENKEN

Kästner-Soiree im Sausenheimer Bahnhof

VON UNSEREM MITARBEITER ROLAND HAPPERSBERGER

Christel Lueb-Pietron war listig: "Wenn es Ihnen zu böse wird, denken Sie daran: Es ist schon lange her." Wirklich? Sie sprach beim Kulturverein für Grünstadt und Umgebung am Sonntag Erich Kästner. In der Hauptsache Gedichte aus den Jahren 1928 bis 1933 und einiges aus der Zeit nach dem Krieg. Zwischendrin musste Kästner schweigen. 1933 stand er in der Menge, als die Nazis auf dem Berliner Opernplatz seine Bücher auf den Scheiterhaufen warfen. Nur einmal brauchten sie ihn in den braunen Jahren, als ihnen jemand fehlte, der ein leichtes, humoristisches, kluges Drehbuch für den Ufa-Jubiläumsfilm "Münchhausen" dichten konnte. Schreiben durfte er das Filmskript, aber sein Name fehlt bis heute im Vorspann. Und später tat Kästner sich schwer, in der Nachkriegswelt einen Platz zu finden.

Münchhausen, Emil und die Detektive, das doppelte Lottchen, drei Männer im Schnee - die bringen Lachen, Nachdenken, Humor mit Tiefe. Ganz anders die Welt in Kästners Gedichtbänden, angefangen von "Herz auf Taille" (1928). Desillusioniert, sachlich, in lakonischem, aber unverwechselbarem Ton zeichnet er die seelischen und sozialen Verwüstungen, die Untertanengeist, Militarismus und Weltkrieg I angerichtet haben. "Jahrgang 1899" (der seinige): "Dann holte man uns zum Militär, bloß so als Kanonenfutter. In der Schule wurden die Bänke leer, zu Hause weinte die Mutter." Knapper lässt es sich nicht sagen. Er weiß auch schon, wo es hinläuft: "Noch einen Moment. Bald ist es so weit! Dann zeigen wir euch, was wir lernten."

Sein Thema: seelische Leere, Gefühlsarmut, Schäbigkeit im Umgang. Einsamkeit im "Trottoircafé bei Nacht". Menschen in Situationen, die offenbaren, was sie kaputt gemacht hat. Im Grunde die Vorwegnahme des Adorno-Satzes: "Es gibt kein richtiges Leben im falschen." Das falsche kam - Kästner sah die braunen Kolonnen in Berlin marschieren. Und diagnostizierte richtig: "Die Zeit liegt im Sterben, bald wird sie begraben", oder "die Zeit fährt Auto - doch kein Mensch kann lenken."

Christel Lueb-Pietrons Auswahl war klug und vielschichtig. Ihr Vortrag schwebte zwischen ironischer Leichtigkeit und Ernst. Manchmal hob sie, fast singend, die Liedhaftigkeit der Gedichte hervor, manchmal sprach sie über die Reime und Versenden hinweg, wie Prosa. Immer präzis, überlegt, bewusst. Das Zuhören: ein reines Vergnügen. Gleiches gilt für die Zwischenspiele Wolfgang Heinemanns am E-Piano. Klug, subtil und einfallsreich variierte, verfremdete er Themen der Zeit: "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn", "Davon geht die Welt nicht unter", Kirchenlieder, Strauß und Beethoven.

Einerseits ein stimmiger literarisch-musikalischer Genuss. Andererseits ein sehr ernster Nachmittag am 9. November.

Bocholt-Borkener-Volksblatt, 03.09.2005

Kästner fürs 21. Jahrhundert 

Isselburg. Auf dem Marmortisch steht eine Tasse Kaffee und eine flackernde Kerze, daneben ein Stuhl. Alles erinnert ein wenig an ein Café mit französischen Flair. Mit schwarzem Oberteil, schwarzem Rock und einer schwarzen Handtasche scheint sich eine Dame auf die Bühne zu verirren: „Ich habe eine Verabredung mit Erich Kästner", begrüßt Christel Lueb-Pietron die gut 50 erwartungsvollen Zuhörer im Pfarrsaal St. Bartholo­mäus in Isselburg. 

An diesem „moralisch­musikalischen" Abend spricht die aus Isselburg stammende Schauspielerin Lueb-Pietron Gedichte von einem der berühmtesten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Am Klavier begleitet sie Wolfgang Heinemann, der mit ausgewählten Stücken die vorgetragenen Gedichte musikalisch interpretiert. So verfremdet Heidemann den „Radetzkymarsch" und spielt damit auf die Leiden des Krieges an.

„Kästner ist ein Mann, der mich fasziniert. Er denkt nach – was heutzutage selten ist", sagt die Schauspielerin. Lueb-Pietron spricht an diesem Abend frei. Ihr gelingt es, die Zuhörer zu fesseln: Sie marschiert auf der Bühne auf und ab, setzt sich auf den Stuhl, hebt und senkt ihre Stimme, schaut die Zuhörer an oder prostet dem Pianis­ten Heinemann mit einem Glas Wein zu. Durch sekun­denlange Pausen in ihrem Vortrag gibt sie dem Zuschauer auch die Chance, über Kästners bissig-moralische Sprache nachzudenken. Zuvor hatte sie gewarnt: Nicht alle Werke Kästners atmeten die kindliche Freundlichkeit von „Emil und die Detektive" oder „Das flie­gende Klassenzimmer". „Falls die Sprache Sie er­schreckt, denken sie daran, dass die Zeit schon vergan­gen ist", so die Rezitatorin. 

Lueb-Pietron trägt Stücke über die großen und kleinen Menschen vor, über das Scheitern des „Guten Menschen" in der Gesellschaft, über die gefühllose und pro­grammmäßige Liebe oder über den Wunsch nach ei­nem perfekten, anpassungsfähigen Kind beziehungsweise Menschen. 

Auch wenn Kästners Ge­dichte das Ende der Weimarer Republik und den Beginn des nationalsozialistischen Deutschlands thematisieren -die Rezitatorin betont die Aktualität des Geschriebe­nen, die auch im 21. Jahrhundert gelte. 

Lueb-Pietron erinnert auch an die Verbrennung von Kästners Büchern im Dritten Reich. Aber nicht nur die Nationalsozialisten zündelten. Sie liest Auszüge aus Zeitungen vor, die im Jahre 1965 über eine ähnliche Verbrennung von Kästners Werken am Düsseldorfer Rheinufer berichten. Sie seien von der dortigen evangelischen Kirchengemeinde gebilligt worden. 

Trotz der ernsthaften Gedichte Erich Kästners erntet die Rezitatorin auch Schmunzler. Außerdem lo­ckern die kleinen Klavierstü­cke Heinemanns den Abend auf. Christel Lueb-Pietron verabschiedet sich beim Publikum mit einer Weisheit Kästners: „Es gibt nichts gu­tes, außer man tut es". 

CARLO VAN ECKENDONK

NRZ, Lokalteil Emmerich / Rees / Isselburg, 29.09.2005: 

Gehaltvolle Gedichte zum Leben erweckt 

KÄSTNER-ABEND / Gebürtige Isselburgerin Christel Lueb-Pietron entließ nachdenkliche Zuhörer aus ihrem „Trottoir-Cafe". 

ISSELBURG. Erich Kästner bedeutet mehr als „Das doppel­te Lottchen". Das stellte Christel Lueb-Pietron in ihrem moralisch-musikalischen Pro­gramm mit dem Titel „Trottoirscafés bei Nacht“ bei den Issel­burger Kolpingsenioren ein­drucksvoll unter Beweis. Zirka 50 Zuhörer lauschten gebannt den Gedichtvorträgen, die von Wolfgang Heinemann am Kla­vier einfühlsam begleitet wurden. 

Im Mittelpunkt der Rahmenhandlung stand ein imaginäres Trottoircafe, angedeutet durch einen Bistrotisch, ein Ambien­te mit einem Hauch vom Kaffeehaus-Charme, den die Rezitatorin als Dame im „kleinen Schwarzen" noch unterstrich. Sie habe ein Treffen mit Erich Kästner vereinbart, der sie nach wie vor fasziniere, weil er nachdenklich und im besten Sinne „moralisch" gegen deutsche Untugenden wie Untertanengeist, Intoleranz oder Mit­läufertum angeschrieben habe. Mal mit bissig-bösen Worten, dann wieder satirisch-witzig oder zärtlich-melancholisch. 

Die gebürtige Isselburgerin verstand es, die gehaltvollen Gedichte Kästners so zum Le­ben zu erwecken, das sie das Publikum anrührten. Dazu trug auch die Inszenierung bei, die einerseits mit der nötigen Distanz den Vortrag in den Mittelpunkt stellte, um dann wieder in aller Lebendigkeit und atmosphärischer Dichte eine Person wie eine Berliner Göre, eine Bardame oder „Frau Pichler" vorstellte, die von den Schüssen marodierender Banden ihren eigenen Tod kommentiert. Besonders überzeug­ten auch die Szenen, in denen - immer mit der passenden musikalischen Untermalung - der Vortrag in eine Art Sprechgesang überging wie beim Ge­dicht „Der Mensch ist gut". 

Und immer wieder überraschte die Aktualität der Kästner-Gedichte. Kaum zu glauben, dass etwa der „Synthetische Mensch", bei dem es um die Herstellung erwachsener Kinder im Labor geht, schon mehr als 70 Jahre alt ist. Von Steuersenkungen und Fabrikensterben handelt das Gedicht „Die Zeit fährt Auto" und von der Erkenntnis „Wer Geld hat, der hat auch Kredit". Auf diese Weise thematisiert Kästner soziale Nöte und stellt sich damit klar auf die Seite des kleinen Mannes. Aber auch das Thema „Beziehungen" durchzieht sein Werk, wie die Gedichte „Sachliche Romanze" oder „Die unverstandene Frau" zeigen. „Herr Kästner, wo bleibt das Positive?" habe man ihn oft gefragt, doch er antwortete als Pazifist, der den Unsinn des Krieges anprangerte: „Die Zeit ist schwarz, ich mach Euch nichts weiß." 

Und Christel Lueb-Pietron entließ zum Schluss nachdenkliche Zuhörer aus dem Trottoircafe, denen sie einen Abend anspruchsvollen Literaturgenusses auf unterhaltsame Weise beschert hatte. (beh)